Interview mit Sarah und Finn - Pidivan
Sarah und Finn haben sich die Freiheit genommen, ihren Alltag in Deutschland hinter sich zu lassen und mit ihrem "Pidivan" für unbestimmte Zeit auf Reisen zu gehen. Zurzeit genießen sie das Leben an der Südküste der griechischen Insel Kreta.
Liebe Sarah, lieber Finn, Pidivan, so nennt ihr euren Bus, ist euer liebevoll gestaltetes Zuhause und ein treuer Begleiter, mit dem ihr schon seit einem halben Jahr unterwegs seid. Woher kam die Idee, einen Bus auszubauen, alles hinter sich zu lassen und der Sonne entgegenzureisen?
Sarah: Im Jahr 2017 habe ich mir einen VW Bus gekauft, den Finn dann liebevoll ausgebaut hat. Nach den ersten Reisen zu zweit war ziemlich schnell klar: Wir wollen mehr davon und das nicht nur am Wochenende oder ein paar Wochen im Jahr.
Finn: Ich war auch sofort infiziert von dieser Art des Reisens und der Freiheit in der Natur. Zu Beginn konnten wir uns allerdings noch nicht vorstellen, dass wir es wagen würden, wirklich alles hinter uns zu lassen.
Sarah: Je mehr wir uns in das Thema eingelesen hatten, desto mehr Gleichgesinnte fanden wir, die uns als Inspiration dienten. Es gibt eine große Vanlife-Bewegung, die mit YouTube-Videos und Büchern von ihren Reisen berichtet haben bzw. berichten. Von Tag zu Tag nahm so unser Traum an Gestalt an, wobei wir uns immer wieder fragten, ob wir es wirklich wagen sollten – so eine Reise bringt ja viel mit sich, wie z. B. Jobs kündigen, Wohnung aufgeben etc.
Wenn ich richtig recherchiert habe, ist vom Innenraum bis zur Außenfarbe alles von euch selbst ausgebaut und gestaltet worden. War Pidivan der erste Busausbau und woher kommt eure handwerkliche und kreative Erfahrung?
Finn: Ich bin gelernter Tischler und habe anschließend noch Architektur studiert. Ich habe schon als 7- jähriges Kind meine Begeisterung für Holz entdeckt und so kam das eine zum anderen. Durch die beiden Berufe geht eine solche Busplanung Hand in Hand, vom Entwurf bis zur Ausführung.
Sarah: Unser erster Bus war auch schon wunderschön, aber als klar war, dass wir länger reisen wollen, musste ein neuer Ausbau her, der noch alltagstauglicher ist, wie z. B. fließendes Wasser, ein Durchgang vom Fahrerraum in den hinteren Teil des Autos, mehr Stauraum in der Küche etc. Zudem wurde uns klar, dass wir ein Allrad-Auto brauchen, um flexibler zu sein.
Finn: Durch den Verkauf des ersten Busses konnten wir den Gewinn 1:1 in den neuen Bus investieren und sind nun beide stolze Besitzer von Pidi 2.0.
© Sarah und Finn
Wofür steht Pidi?
Finn: PI steht für den Namen Piet, so heißt mein Vater. Er ist Karosseriebauer und hat uns bei beiden Bussen tatkräftig unterstützt und beraten.
Sarah: DI steht für Dieter, meinen Onkel. Ohne seine finanzielle und mentale Unterstützung hätten wir unseren ersten Bus nicht realisieren können und wären so niemals auf die Idee gekommen, für längere Zeit im Bus zu leben und zu reisen. Da wir ohne die beiden nicht an dem Punkt wären, an dem wir jetzt sind, haben wir beide Busse nach ihnen benannt.
Finn: Somit ist der Name eine Hommage an die beiden.
Gab es einen konkreten Plan für eine Route oder ein bestimmtes Ziel, bevor ihr losgefahren seid?
Sarah: Eigentlich wollten wir unseren Bus im März 2020 nach Kanada verschiffen und dann quer durch Amerika die Panamericana nach Argentinien fahren.
Finn: Zum Glück wollte Sarah dann aber im Mai 2020 unbedingt noch auf eine Hochzeit einer guten Freundin gehen, sodass wir die Abreise in den Mai verschoben haben. Ohne diese Hochzeit wäre Pidi dann Anfang März auf dem Weg nach Kanada gewesen und wir wären nicht mehr hinterhergekommen, da zu diesem Zeitpunkt ja bereits coronabedingt keine Flüge mehr über den Atlantik möglich waren.
Sarah: Uns ging es so wie vielen anderen Reisenden – es wurden so viele Pläne gemacht und dann wurde auf einmal alles auf den Kopf gestellt. Nach der anfänglichen Schockstarre haben wir uns aber schnell entschieden, trotz aller Umstände loszureisen, da ich bereits meinen Job gekündigt und mich um eine Nachfolgerin gekümmert hatte.
Finn: Wir waren uns auch gleich einig, dass Europa so viel zu bieten hat und im September 2020 hatte sich die Lage europaweit ziemlich entspannt. Dass wir dann ab November 2020 bis März 2021 in Griechenland im absoluten Lockdown landen würden, haben wir bei unserer Abreise natürlich nicht gehofft.
Sarah: Wir haben aber noch keinen Tag bereut, dass wir trotz Corona losgefahren sind, zumal die Griechen ein sehr freundliches, entspanntes Volk sind, deren Gelassenheit sehr rasch auf uns übergeschwappt ist.
Nach welchen Kriterien sucht ihr eure Stellplätze aus?
Finn: Es gibt diverse Apps, die einem die Stellplatzsuche erleichtern. In diesen Apps gibt es freie Stellplätze, Campingplätze und Plätze auf privaten Plätzen, wie z. B. Parkplätze von Gaststätten, Bauernhöfe und Weingüter. Einmal standen wir in Italien mitten in den Weinreben auf einem toskanischen Weingut und konnten unser Glück kaum fassen.
Sarah: Inzwischen suchen wir uns unsere Stellplätze aber immer öfter über das Satellitenbild von Google Maps oder wir fragen Einheimische, ob sie Ideen haben, wo wir stehen können. Das haben wir auf der Reise ohnehin so oft festgestellt: Kommunikation ist alles. Je mehr wir uns unterhalten, desto mehr Möglichkeiten und schöne Beziehungen zu anderen Menschen entstehen.
Eine äußere Reise ist immer auch eine innere Reise. Was sind die Vor- und Nachteile auf diese Art zu reisen?
Sarah: Eines vorweg – es überwiegen ganz klar die Vorteile. Wir erfahren, was es heißt, in den Tag zu leben, ohne ständig gehetzt zu sein. Ich kann mich auf einmal an Erlebnisse erinnern, die seit Jahren in meinem Unterbewusstsein abgespeichert waren, aber verschüttet schienen.
Finn: Alltägliche Dinge wie Wasser holen, Wäsche waschen oder Mahlzeiten zubereiten dauern wesentlich länger, aber werden von uns viel bewusster wahrgenommen als im Alltag des Großstadtlebens.
Sarah: Auf einmal bestimmt das Wetter und das Klima unser Leben, ebenso wie die Tageszeit, das fühlt sich eigentlich am schönsten an. Wir leben tatsächlich mit der Natur. Es gibt kaum ein besseres Gefühl, als nach zwei Tagen Regenwetter die Sonne wiederzusehen und die warmen Strahlen mit einem Becher Kaffee in der Hand zu genießen.
© Sarah und Finn
Wie finanziert ihr euch?
Finn: Bisher finanzieren wir uns durch unser Erspartes. Durch den Verkauf des ersten Busses konnten wir den zweiten Bus finanzieren. Zudem ist Sarah zwischenzeitlich bei mir eingezogen und somit sind unsere Fixkosten deutlich gesunken.
Sarah: Außerdem haben wir in den letzten beiden Jahren unseren Lebensstil radikal geändert. Wir haben nur noch regional eingekauft, haben so gekocht, dass nichts übrig geblieben ist und waren kaum noch außer Haus essen. Einmal im Monat haben wir uns den Luxus gegönnt, einen indischen Lieferdienst zu bemühen. Wenn wir abends ausgegangen sind, konnten wir unsere Kosten auch gering halten, was in Hamburg zum Glück ganz anders möglich ist als z.B. in München.
Finn: Zudem haben wir unseren halben Hausstand verkauft, was noch ein zusätzliches Taschengeld eingebracht hat.
Über eure Reise postet ihr regelmäßig auf Instagram und vermittelt den Eindruck, euch geht es da draußen wirklich gut und das Leben ist schön. Gibt es auch Momente, in denen ihr spürt – es ist doch nicht alles so entspannt und die Lebensart, die ihr euch ausgesucht habt, ist auch eine Herausforderung?
Sarah: Wir hatten bisher erst zweimal die Situation, dass wir uns wirklich nach einem festen Dach über dem Kopf gesehnt haben. In beiden Fällen sind wir diesem Wunsch dann auch nachgegangen.
Finn: Wenn es zu nasskalt wird oder wir schon zu lange keine warme Dusche mehr hatten, geht das manchmal schon an die Substanz. Aber alles in allem ist der Alltag noch schöner als wir es uns davor vorstellen konnten.
Welche Sehnsüchte habt ihr?
Finn: Manchmal fehlt uns der indische Lieferservice und mir fehlen meine Nachmittage mit meinen Freunden beim Fußball schauen.
Sarah: Und die Sehnsucht nach offenen Grenzen ist groß, aber das ist tatsächlich jammern auf hohem Niveau.
Wie leicht ist es euch gefallen, sich auf das Nötigste zu reduzieren?
Finn: Sehr leicht, da wir schon vor zwei Jahren begonnen haben, unseren gesamten Hausstand auf das Allernötigste zu reduzieren.
Sarah: Unsere Freunde konnten es schon in Hamburg kaum glauben, wie klein unser gemeinsamer Kleiderschrank war. Irgendwann ist das Reduzieren wie eine Sucht – kurz vor der Reise hätte ich sogar fast noch mein Cello verkauft, habe mich dann aber im letzten Augenblick doch noch dagegen entschieden.
Finn: Unser ganzes Hab und Gut, inkl. meinem ganzen Werkzeug und den Baumaterialien hat am Ende in ein zehn Quadratmeter großes Dachbodenabteil gepasst – das war ein wirklich gutes Gefühl.
Welche Gewohnheiten habt ihr im Laufe eurer Reise entwickelt?
Finn: Der Kaffee am Morgen und ein Frühstück in aller Ruhe ist fester Bestandteil unseres Lebens geworden. Dadurch starten wir mit einer großen Gelassenheit in unsere Tage.
Sarah: Zudem bewegen wir uns beinahe täglich, außer es schüttet in Strömen.
© Sarah und Finn
Ihr scheint ein perfekt eingespieltes Team zu sein. Gibt es Momente auf eurem Weg, in denen ihr euch auch mal aus dem Weg gehen müsst?
Sarah: Das war tatsächlich eine unserer größten Befürchtungen, die ständige Nähe zueinander. Wir hatten im Vorfeld schon überlegt, ein Zelt mitzunehmen, falls wir mal Abstand brauchen würden.
Finn: Zum Glück ist das Gegenteil der Fall und wir verstehen uns jeden Tag noch besser. Zudem können wir beide alles miteinander besprechen. Dadurch, dass wir die kleinsten Schwierigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten sofort besprechen, entstehen keine Konflikte. Nur in Stresssituationen kann der Ton mal rauer werden, aber das verstehen wir dann beide und keiner nimmt es dem anderen krumm.
Sarah: Ich bemerke auch, dass unser Umgang miteinander noch respektvoller und einfühlsamer wird, zumal wir ja wirklich aufeinander angewiesen sind.
© Sarah und Finn
Die Vanlife Community ist riesig. Habt ihr Kontakt und Austausch untereinander?
Sarah: Das ist eine große Freude – wir erhalten so viele positive Nachrichten und Botschaften von wirklich lieben Menschen, die dankbar sind, an unserer Reise teilhaben zu dürfen. Zudem versorgen sie uns mit tollen Tipps und Ideen.
Finn: Ich war zu Beginn noch nicht so überzeugt von dieser Instagram-Geschichte. Inzwischen bin ich aber wirklich anderer Meinung und sehe die Vorteile dieses Mediums.
Sarah: Wir haben inzwischen auf Kreta so viele liebe Menschen getroffen, nachdem wir uns im Vorfeld über Instagram ausgetauscht haben. Mit zwei von ihnen haben wir sogar Weihnachten und Silvester verbracht.
Finn: Wir versorgen unsere Follower auch mit Tipps und Ratschlägen bzgl. deren Ausbauten. Die Vanlife-Gemeinde wächst täglich und immer mehr Menschen scheinen auf den Geschmack gekommen zu sein.
Sarah: Schon im Vorfeld merkt man ziemlich schnell, ob man sich verstehen wird und dann fühlt es sich beim ersten Zusammentreffen an, als ob man sich schon lange kennt. Wir freuen uns jetzt schon darauf, einige neue Menschen kennenzulernen, wenn sich unsere Wege dann auf den Straßen der Welt kreuzen.
Was bedeutet euch Freiheit?
Sarah: Freiheit bedeutet mir sehr viel – sei es mental, räumlich und körperlich. Dass wir ein großes Gefühl von Freiheit auf der Reise erleben würden, hatten wir uns von Anfang an gewünscht. Bisher wurde die Erwartung bei der Reise tatsächlich übertroffen, trotz Corona-Maßnahmen. Wir wachen jeden Morgen auf und können frei entscheiden, nach was uns der Sinn steht, auch wenn natürlich so alltägliche Dinge wie Wasser holen, einkaufen, etc. erledigt werden müssen.
Finn: Zu Beginn war es fast ungewohnt, mit der neu gewonnenen Freiheit umzugehen und wir fühlten uns noch etwas gehetzt. Mit jedem Tag, den wir länger unterwegs sind, wird das Gefühl des „Freiseins“ größer, aber in keiner Sekunde selbstverständlich. Zumal wir ja schon etwas in unserer Freiheit des Reisens eingeschränkt sind.
An welche besonderen Momente erinnert ihr euch?
Finn: Momentan erleben wir einen langen besonderen Moment. Ich baue für eine griechisch-schweizerische Familie ein Baumhaus. Der jüngere der beiden Söhne wird bald 5 und wir verbringen hier schon die vierte Woche beim Bau des Baumhauses, inmitten von Olivenbäumen mit Meerblick.
Sarah: Mir sind zwei Momente in Erinnerung geblieben, als wir in Süditalien im Graben gelandet sind und der Bus drohte umzukippen. Die Hilfsbereitschaft der Dorfbevölkerung war enorm. Zum anderen sind wir mit dem Bus mal auf Abwege gekommen und es schien unmöglich, auf der 30-prozentigen Steigung wieder umzudrehen. Die Straße war komplett unbefestigt und wie aus dem Nichts war sie auch komplett zugewachsen. Aber wir haben beide Situationen meistern können und die Erleichterung danach war enorm.
Gibt es Orte, die ihr noch entdecken möchtet?
Sarah: Da haben wir noch einige auf unserer Wunschliste. England, Irland und Schottland stehen zum Beispiel ganz oben. Außerdem würden wir noch gerne zu den Lofoten reisen, alles was wir bisher an Bildern gesehen haben, war atemberaubend.
Finn: Ich halte noch immer an dem Wunsch fest, die Panamericana eines Tages zu bereisen. Für diesen Wunsch haben wir so viel hinter uns gelassen und wir wären so dankbar, wenn dieser Wunsch noch in Erfüllung geht.
04/2021
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